Rückblick und Visionen

Gedanken zu den letzten und nächsten 50 Jahren Landschaftsarchitekturausbildung in der Schweiz. Ein Vortrag von Christian Stern am Rapperswiler Tag vom 8. April 2022.

 1960 gab es in der ganzen Schweiz nicht einmal zehn freischaffende Gartenarchitekten, Einmann- und ein Einfraubüro. Die Anzahl war klein, die Qualität dennoch gross. Ernst Cramer, Walter Leder, Walter Brugger, Albert Zulauf, Willi Neukom oder Pierre Zbinden sorgten dafür. Als Autodidakten wussten sie nichts von Pflanzensoziologie waren aber stark in Dendrologie, Gestaltung oder Staudenverwendung. Leider gab es kaum Wettbewerbe, vielleicht einmal für ein Freibad oder einen Friedhof. Wir arbeiteten oft ohne Vertrag mit den Bauherren. Im Schlepptau der Architekten mussten uns mit Almosen aus ihrem Architekturhonorar begnügen und kämpften meist erfolglos um die Nennung in Publikationen. In Gartenbaufirmen wurden die Pläne oft gratis gezeichnet, als Akquisition für einen Ausführungsauftrag. Auch die Ämter projektierten selbst oder vergaben Aufträge ohne.

Wie es dann gelaufen ist, ist bekannt: vom Rapidographen zu CAD, von der Garten- zur Landschaftsarchitektur. Deshalb möchte ich den Blick direkt Richtung Zukunft und Utopien wenden. Beginnen wir an mit dem Begriff „Landschaft“. Landschaft ist überall. Es gibt nicht nur die alpinen und die landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaften, es gibt auch Stadt- und Industrielandschaften.  Mit der Landschaftsplanung, wie sie heute in der Schweiz praktiziert wird und welche die urbanen Gebiete ausschliesst, stimmt also etwas nicht. Die Raumplanung wird sich Landschaftsplanung nennen müssen. Wir hätten dann ein „Bundesgesetz über die Landschaftsplanung“. Es stellt sich die Frage wo sich der Landschaftsarchitekt darin positionieren würde, auf welcher Flughöhe er arbeiten will oder kann. Mit dem heutigen Fachhochschul-Bachelor von drei Jahren sicher nicht als Leader. Und in 50 Jahren? Unabhängig davon wer was macht, in der Land-, Wald- und Wasserwirtschaft wird sich vieles ändern: Flutungsräume ersetzen die Dämme, Ufer werden erschlossen oder renaturiert und möglicherweise viele Melorationen zurückgebaut. Es wird neue National- und Naturpärke geben und für den Outdoorspass Seilparks, Kletterstiege, Hängebrücken, Downhill-Pisten und Trails für alle Gigs&Gags; alles mit dem Öffentlichen Verkehr erschlossen. Nebenan gibt es die Hochgebirgs-Schutzzonen wo man ganz puristisch alle Kletterhilfen und Bohrhaken aus den Felswänden entfernt. Anderorts beherrschen riesige Windparks oder Speicherseen den Alpenraum.

Grün brauch Verantwortliche

Anderes Thema. Die Abteilung am ITR hiess einmal „Grüplanung“ . Der Begriff Grünplanung wurde dann auf unsere Aufgaben im Stadt- bzw. Siedlungsgebiet reduziert. Heute heisst das Freiraumplanung. Klar, es gehören auch Anlagen ohne Grün dazu, aber fragen sie einmal die Psychologen oder Soziologen was diese unter Freiraum verstehen. Werden wir doch präziser und nennen es schlicht Stadtraumplanung. Diese fängt nicht mit dem Verkehr und den Bauvolumen an, sondern mit Überlegungen zu Gassen, Plätze, Pärken, Alleen, Gewässern, Durchlüftungskorridoren und deren Vernetzung. Der so definierte Stadtraum wird dann gefasst mit den Bauten. Denken sie an die italienischen Städte, Siena Piazza del Campo, das begann mit der Platzidee. Eine derart entwickelte Stadt beginnt dann schon von Anfang an mit den Bäumen. Heute überlässt man uns Restflächen und einen Baum zu pflanzen wird unmöglich, weil der Untergrund schon besetzt ist. In Zukunft werden die Baumstandorte Priorität haben und der Verkehr sowie die Leitungen sich danach richten.

In den Gemeinden sind die Anliegen um das „Grün“ in der Regel immer noch dem Tiefbau unterstellt. Nicht verwunderlich also, dass es zu kurz kommt. Eigenständige Abteilungen müssen geschaffen werden werden, geleitet von kompetenten Kollegeninnen und Kolegen, die gleichberechtigt neben dem Hoch- und Tiefbau das Geschehen bestimmen. Die Parkplatz-Pflicht im Wohnungsbau wird fallen. Die Maut in den Städten wird so teuer sein, dass nur noch Handwerker, Lieferanten und selbstfahrende Taxis hineinfahren werden . Die versiegelten Parkplatzflächen werden aufgerochen um Bäume zu pflanzen. Das Baureglement verlangt dann für jede Wohnung einen gepflanzten Baum. Die sind geschützt und wenn der Platz dazu fehlt, kommt eine Abgeltung in die Kasse des „Urban-Waldpark-Fonds“. Das oberste Geschoss der Tiefgaragen wird Wurzelraum und die überflüssige Fahrbahn mutiert zur baumbestandenen Wohnstrasse. In der 15-Minuten-Stadt Paris sind nicht Elektroautos das Ziel, sondern keine Autos; begrünte Fassaden  und Dachgärten gibt es dann nicht nur in Mailand oder Singapur.

Wenn wir schon beim Stadtbaum sind, warum gibt es keine SIA-Norm für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Boden und den Bäumen? Die Vorschriften in den Städten sind widersprüchlich. Wann wird man sich einig sein über Transport, Lagerung, Pflanzung, Rohreinlagen, Belüftung, Bewässerung, Substrate? Das Problem der Artenwahl kommt noch dazu, verstärkt durch Pilze, Bakterien, Parasiten und besonders die Klimaveränderung. Da hat die Profession noch einiges vor sich, auch betreffend den Umgang mit dem Boden: Abtrag trennen nach Horizonten, Depot-Beschattung, Feuchthaltung oder Begrünung mit Leguminosen. Eine Baubewilligung wird es nur mit dem Nachweis einer korrekten Deponierung geben.

Gestaltung bleibt wichtig

Nun zur Objektplanung, der Freiraumgestaltung bzw. Gartenarchitektur. Da ist schon einiges in Bewegung gekommen, zumindest im öffentlichen Raum, weg von starren Bildern, hin zu mehr Biodiversität, Artenvielfalt und Aufenthaltsqualität. Die Haltung der Auftraggeber und der Jurys hat sich etwas gewandelt. Man wird noch weiter gehen in Richtung verbesserte Ökobilanz und höherer Nutzwert. Andererseits werden auch Anlagen unter Schutz gestellt, z.B. der MFO-Park mit seinen Kletterpflanzen. Andere werden zukünftige Kolleginnen und Kollegen überformen. Im Louis-Häfliger-Park wird man die Hügel ausplanieren und das Areal für Urban Gardening freigeben, dann können die Anwohner dort die schönste Permakultur prämieren. Im Oerliker Park wird man die Altlasten ausbuddeln, recyclen und die über dem Asphalt serbelnden Hochstamm-Haine durch einen „City-Plenterwald“ ersetzen, gemischt und gestuft, in dem sich die Kinder Trampelpfade und Schleichwege erobern. Im Glattpark hat es angeblich zu wenig Schatten. Da werden ein paar hundert Bäume gepflanzt werden, um Räume und Raumfolgen mit Atmosphäre zu schaffen.

Neue Ideen, mehr Artenvielfalt, mehr Partizipation, mehr Biomasse, mehr Ambiente. Der Pflanzplan wird anspruchsvoller, der Landschaftsarchitektur wird wichtiger. Nicht allein die eigene Leistung, auch der Wandel des gesellschaftlichen Umfeldes führte zu einem erstaunlichen Prestigegewinn. Der Beruf ist dank den Hochschulen, Instituten, Professuren, Bibliotheken und dem Archiv sogar im akademischen Himmel angekommen. Aber können wir die hohen Ansprüche auch erfüllen? Nur mit einem Architektur-Zusatz-Master ohne Basiswissen wohl kaum. Einzig mit einem Bachelor- und konsekutiven Masterstudium in Landschaftsarchitektur und viel praktischer Erfahrung werden Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten in Zukunft den gestellten Anforderungen gerecht. Auch der BSLA wird seine Aufnahmebedingungen verschärfen müssen.

Ein Rat zum Schluss: Lesen Sie die hochaktuellen Leitartikel im neuen „anthos-Jahrbuch“ und die Warnungen auf den letzten Seiten der allerletzten Ausgabe der Fachzeitschrift „anthos“ und setzen Sie das dort Geforderte um. Und dann kommt wahrscheinlich doch alles ganz anders!